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Leidensgerechter Arbeitsplatz: Wer hat Anspruch darauf?

Gesundheitliche Probleme können die Ausübung des Berufs einschränken oder gar unmöglich machen. Was soll dann werden? Das Arbeitsverhältnis beenden und eine Sperrzeit riskieren? Besser wäre es, wenn sich im Unternehmen ein leidensgerechter Arbeitsplatz finden ließe. Wie findet man den und was muss der Arbeitgeber dazu beitragen?

Der Mitarbeiter kann die ihm zugewiesene Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, ist also dauerhaft oder immer wieder krangeschrieben. Dann ist der aktuelle Arbeitsplatz nicht mehr leidensgerecht.

Wie finde ich den leidensgerechten Arbeitsplatz?

Zwei Möglichkeiten müssen nun geprüft werden. Lässt sich der aktuelle Arbeitsplatz mit zumutbaren Mitteln so herrichten, dass er leidensgerecht ist? Oder gibt es einen anderen Arbeitsplatz, den der Mitarbeiter ohne gesundheitliche Probleme ausfüllen könnte bzw. muss der Arbeitgeber solch einen Arbeitsplatz schaffen?

Ausgangspunkt ist § 167 Abs. 2 SGB IX:

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen.

Der Arbeitgeber muss also aktiv werden und das betriebliche Eingliederungsmanagement in die Wege leiten (BEM). Voraussetzung ist nur die Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen im Jahr. Mehrere kurze Zeiten der Arbeitsunfähigkeit reichen, wenn in der Summe sechs Wochen zusammenkommen. Ursache und Art der Erkrankung sind unwichtig. Das BEM ist freiwillig. Ob man schwerbehindert ist, darauf kommt es nicht an.

Der Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sollte aber immer gestellt werden, wenn eine gewisse Aussicht auf Erfolg besteht. Es gibt einen verbesserten Kündigungsschutz (GdB von 30 oder 40 + Antrag auf Gleichstellung bzw. ab GdB von 50) und Zusatzurlaub von fünf Tagen ab GdB von 50.

Im Rahmen des BEM wird untersucht, ob sich der bestehende Arbeitsplatz leidensgerecht umgestalten lässt. Was erforderlich ist, lässt sich nicht verallgemeinern. Das ist eine Frage des Einzelfalles. Es kann organisatorisch (bei psychischen Erkrankungen) oder räumlich (bei körperlichen Problemen) etwas geändert werden.

Denkbar sind aber auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben:

  • Technische Hilfen und persönliche Hilfsmittel
  • Kraftfahrzeughilfe
  • Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung
  • Wohnungshilfen
  • Arbeitsassistenz
  • Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit
  • Leistungen in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen

Den zuständigen Träger muss man finden. Das können sein

  • Gesetzliche Krankenkassen
  • Bundesagentur für Arbeit
  • Gesetzliche Unfallversicherung
  • Gesetzliche Rentenversicherung
  • Träger der öffentlichen Jugendhilfe
  • Träger der Eingliederungshilfe

Einfach ist es nicht. Stellt man den Antrag bei einem unzuständigen Träger, muss der den Antrag an die zuständige Stelle weiterleiten und den Antragsteller darüber informieren, § 14 SGB IX. Der Antrag darf also nicht allein wegen der Unzuständigkeit abgelehnt werden.

Wenn die Umgestaltung des aktuellen Arbeitsplatzes nicht ausreicht, beginnt die Suche nach einem leidensgerechten anderen Arbeitsplatz im Unternehmen.

Muss der Arbeitgeber einen leidensgerechten Arbeitsplatz freimachen?

Der Mitarbeiter kann verlangen, dass der Arbeitgeber organisatorische Maßnahmen ergreift, um eine leidensgerechte Beschäftigung zu ermöglichen – etwa indem der Arbeitgeber andere Mitarbeiter versetzt. Der Arbeitgeber hat das Weisungs- und Direktionsrecht, er kann also einiges machen.

Dagegen kann der Mitarbeiter nicht verlangen, dass der Arbeitgeber einen neuen leidensgerechten Arbeitsplatz eigens schafft. Ebenso kann der Mitarbeiter regelmäßig nicht verlangen, dass der Arbeitgeber einen leidensgerechten Arbeitsplatz „freikündigt“.

Es gibt ein praktisches Problem. Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass im Unternehmen ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist. In größeren Betrieben ist das nicht einfach. Genau hier setzt das BEM an, denn es verpflichtet den Arbeitgeber aktiv zu werden. Aber der Arbeitnehmer sollte sich aktiv daran beteiligen. So gewinnt man die Erkenntnisse über mögliche Optionen. Das BEM sollte man nicht über sich ergehen lassen. Den leidensgerechten Arbeitsplatz sollte beim Arbeitgeber einfordern.

Unterstützung gibt es vom Bundesarbeitsgericht, das mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 die Pflichten des Arbeitgebers festgeschrieben hat. Es geht in dieser Entscheidung um einen schwerbehinderten Arbeitnehmer. Sei macht deutlich, wie wichtig aus Arbeitnehmersicht die Feststellung des GdB ist.

  • Schwerbehinderte Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können.
  • Der Arbeitgeber erfüllt diesen Anspruch regelmäßig dadurch, dass er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist.
  • Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so er kann Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und ggf. auf eine entsprechende Vertragsänderung.
  • Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. So kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung besteht.
  • Schwerbehinderte Menschen haben zudem Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen.
  • Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, was er allerdings vor Gericht beweisen muss.
  • Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten.

Der Arbeitgeber will, dass ich Erwerbsminderungsrente beantrage.

Auf diese Idee kommen Arbeitgeber im Rahmen des BEM erstaunlich oft. Mancher Arbeitgeber will sich womöglich so seiner Angestellten entledigen. Der Schritt will gut überlegt sein. Bei längerer Erkrankung liegt der Antrag nahe. Erwerbsminderung und Arbeitsunfähigkeit sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Das merkt man spätestens, wenn Rentenversicherung den Antrag ablehnt, was Monate dauern kann und noch immer kein leidensgerechter Arbeitsplatz gefunden ist. Den Antrag also nur dann stellen, wenn etwas dran ist. Sonst verstreicht viel Zeit, in der nichts geschieht.

Antrag auf Erwerbsminderung abegelehnt? Hier geht´s zum Widerspruch.

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